Na gut, die Buch Wien 2025 haben wir ausgelassen, man kann nicht überall gewesen sein … Aber Manuelas Adlerinnenauge ist der Hinweis im „Falter“ nicht entgangen, dass Konrad Paul Liessmann sein neues Buch „Was nun? Eine Philosophie der Krise“ in der Alten Schmiede präsentiert und ja, wir sind Liessmann-Fans, also gehen wir da natürlich hin. Manuela gleich direkt von der Arbeit in die Innenstadt, gehen zu Diglas in der Wollzeile zum Aufwärmen und wer sitzt da zwei Tische weiter? Liessmann. Cool. Und zwei Tische weiter auf der anderen Seite? Ex-Bundeskanzler Werner Faymann. Cool. Aber: Die Qualität der Torten hat ein bissl abgebaut im Diglas, muss ich sagen, und der süditalienische Kellner ist auch nicht mehr dort … Wir natürlich, schlau, schauen, dass wir um 18:30 in der Alten Schmiede sind. Diejenigen, die erst 18:45 auftauchen müssen sich schon um Sitze rangeln. Und die, die um kurz vor 19:00 Uhr auftauchen, naja …
Liessmann ist nicht allein, sein Gesprächspartner an diesem Abend ist Michael Ludwig, hauptberuflich Bürgermeister der Stadt Wien. Ludwig wirkt im Fernsehen immer recht aufgeräumt, intelligent, aber weil Politiker halt mehr oder weniger in Schablonen reden (müssen) auch nicht rasend originell. Er ist immer recht putzig anzusehen, als würde er gerade von seiner Firmung kommen. Aber Ludwig ist für uns die große Überraschung des Abends; belesen, historisch versiert (hat ja auch Geschichte studiert), weit- und rückblickend zugleich, rhetorisch überzeugend. Man wünscht sich, dass Politiker:innen im Fernsehen vielleicht mal größere Freiräume hätten um über anderes als Politalltag reden zu können.
Liessmann sieht in unserer Zeit eine Zeit der Krisen, die wiederum werden unterschiedlich verortet in verschiedenen Sachbereichen. Zunächst die prinzipielle Frage, ob wir überhaupt eine Krisenzeit durchleben, gestellt von Ludwig, denn vergleicht man die Krisenhaftigkeit unserer Zeit mit der von vor etwa 80 oder 100 Jahren, so wiegen ewig lange Finanzkrisen und die Weltkriege natürlich deutlich schwerer. Oder? Liessmann wiederum stellt fest, dass eine Krise zeitlich begrenzt sein muss, ist sie das nicht, dann ist sie keine Krise sondern ein chronischer Zustand. (Was ist der Unterschied zwischen normal und chronisch?) Sicher ist, dass es Ängste gibt, dass wir in einer Umbruchszeit leben. Liessmann stellt sich vor, dass wir Angehörige einer Epoche sind, von der Historiker:innen einmal sagen werden, in dieser Epoche von etwa 1870-2050 habe es „Pensionen“ gegeben, was weder davor noch danach der Fall gewesen ist. Ein Gedanke, der mir schon mal in Bezug auf Arbeiter:innen und Wohlstand gekommen ist, stellt sich die Phase von 1960 bis etwa 2000 für mich nämlich als diejenige dar, in der Arbeiter:innen tatsächlich zu Wohlstand kommen konnten, sich Häuser bauen oder erwerben konnten, oft mit einem Familienmitglied als Haupt- oder Alleinverdiener. Und dann war immer noch genug Geld da, um sich zusätzlich etwas sparen zu können. Und dann sind die Immobilienpreise auch noch in die Höhe geschossen. Und und und … alles vorbei.
Auch was die Lebenserwartung betrifft, den Einsatz von KI … es werden Fragen aufgeworfen, die derzeit kaum zu beantworten sind. Ludwig hat vermutlich Glück, mit 62 Jahren ist er alt genug, dass er den großen Umbruch nicht mehr mitverantworten werden muss.
Liessmann und Ludwig, zu oft einer Meinung als dass es zu einer Diskussion oder einem Streitgespräch hat kommen können, boten an diesem Abend Unterhaltung auf hohem Niveau mit vielen Anregungen zum Nachdenken (Gott behüte, nachdenken, hätte Thomas Bernhard eingeworfen), Weiterdenken, Vordenken, Überdenken – und wer mehr Anregungen wünscht kann sich ja Liessmanns Buch „Was nun?“ (dessen Cover inspiriert ist von der deutschsprachigen Erstausgabe von Lenins „Was tun?“ (1902)) kaufen.
Wir haben uns auf jeden Fall ein Exemplar gesichert und signieren lassen. Vor uns in der Reihe: Thomas Schäfer-Elmayer. Werner Faymann war nicht da. Hat er was verpasst.
„Die Nacht weiß nicht vom Tage“ ist ein Stück in acht Liedern der österreichischen Komponistin Ruth Cerha, die darin unter anderem den Tod ihres Vaters, des Komponisten Friedrich Cerha, der 2023 verstorben ist, verarbeitet. Das Stück wird im Rahmen von „wien modern“ aufgeführt, in den SOHO Studios, in einem kargen, weiten, mit quadratischen weißen Betonsäulen ausgefüllten Raum,. der alles andere als theatertauglich zu sein scheint, auf den ersten Blick.
Cerha, Komponisten, Darstellerin, Regisseurin, Texterin in einer Person, geht „Die Nacht …“ als Stationentheater an. Im Zentrum ein Klavier, das auf einem fahrbaren Podium nach Beendigung eines Stücks durch den Raum, um die Säulen geschoben wird, von Cerha selbst und einem grauhaarigen Mann, beide in matrosenähnlicher Kleidung. Das Publikum, teilweise ausgestattet mit Klapphockern (vielen Dank, liebe Veranstalter) kann und darf folgen, wenn es will und sich immer wieder neu platzieren – oder auch nicht. Aber alle folgen der Möglichkeit, sich zu bewegen und das Ganze aus einem anderen Winkel zu sehen. Zwei Tänzer:innen, eine Pianistin, ein Klarinettist, zwei Sängerinnen tragen das Werk vor. Die Musik ist leicht atonal, aber für heutige Verhältnisse harmonisch, mitunter melancholisch, die Stücke, acht Lieder, eine Ouvertüre und anderes, sind vergleichsweise kurz, das gesamte Werk hat aber doch eine Länge von rund 70 Minuten und zieht das Publikum durchaus in seinen Bann als Gesamtkunstwerk. Durch die intensive Darbietung der Tänzer:innen (noch nie haben wir Tanz aus einer derartigen körperlichen Nähe erlebt, nur Zentimeter entfernt, und zum ersten Mal die unglaubliche physische Anstrengung der Tänzer:innen realisiert); durch das Fesselnde der Musik; den Gesang; die Beleuchtung. (Weniger durch die szenischen Hilfsmittel wie Koffer und Erde.) Das Stück erschließt sich kaum aufgrund seiner Darbietung, das Motiv der Reise und der Zusammenhang mit der Vergänglichkeit bzw. dem Vergehen des Lebens wird deutlich, aber alles Weitere muss erlesen werden, was der Sogkraft der Aufführung aber keinen Abbruch tut.
Cerha wird vom Publikum (vielleicht 80 Menschen) zu Recht beklatscht, ebenso wie alle Teilnehmenden. Zum Schluss, aufgefordert von den Akteur:innen, löst sich alles im Tanz mit dem Publikum auf, an dem, Gott bewahre, ich auch teilnehmen musste.
Gesehen am 9. November 2025 im Cineplex Wien Mitte (Saal 8, 18:15 Uhr)
Na gut, mal kein Theaterbesuch. Manuela und ich haben in den vergangenen Jahren aufgrund unsrer Theaterfreude das Kino vernachlässigt, wollen das aber ändern. Ohne Michaela und Mirko wären wir wahrscheinlich nicht ins Kino gegangen, sind wir aber, nach einer Runde am Christkindlmarkt am Stephansplatz (viel besserer Punsch als am Schönbrunner Christkindlmarkt, der dort wirklich eine Zumutung war), und zwar bei „Franz K.“ der Regisseurin Agnieszka Holland. Der Film hatte im September 2025 seine Premiere, ist also, naja, brandneu. Natürlich hat man als Kafka-Leser:in („Der Prozess“, „Amerika“, „Die Verwandlung“, diverse kürzere Texte; vergangenes Jahr an der Burg „Der Bau“ und „Die Verwandlung“ gesehen) gewisse Erwartungen. Werden die erfüllt? Schwer zu sagen.
Holland hätte einen einfacheren Weg gehen können, Biopics sind gerade ziemlich in, zeitgleich mit „Franz K.“ läuft ja auch der Film über den amerikanischen Sänger Bruce S. (der wohl etwas mehr Zuseher:innen haben wird). Biopics sind ähnlich wie Superheldenfilme nach einer Formel gestrickt: Andeutungen von eventuellen Gründen für spätere Probleme in der Kindheit; frühe Talentproben, aber Schwierigkeiten, sich durchzusetzen; Liebesgeschichte; Erfolg und Absturz; Selbstzweifel und Regeneration; wieder Erfolg. Schluss. Das ist nicht, was Holland will und Kafkas Leben gibt so etwas wohl auch nicht her.
Holland entschied sich dafür, den Film episodisch anzulegen: einzelne, kurze Szenen, die einen bestimmten Charakterzug Kafkas oder ein Ereignis seines Lebens oder seine Beziehung zu einer bestimmten Person beleuchten wie Schlaglichter. Deutlich wird das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, die gute Beziehung zu seiner neun Jahre jüngeren Schwester Ottla, die Freundschaft zu Max Bord, die holprige Beziehung zu seiner Verlobten Felice Bauer. Dazwischen kurze Szenen in der Jetzt-Zeit im Kafka-Museum, Auswüchse des Kafka-Tourismus wie der Kafka-Burger. Mitunter Visualisierungen von Kafkas Texten wie der grausamen Darstellung von „In der Strafkolonie“. Das gibt dem Ganzen eine gewisse Länge und ermüdet etwas, wenn eine kurze Szene sich an die nächste reiht und der Film ist mit 2 Stunden 7 Minuten nicht gerade kurz. Auch wirkt der Film dadurch unstrukturiert: ob er jetzt 20 Minuten kürzer oder länger wäre, es würde keinen großen Unterschied machen. Eigenartig ist, dass Kafkas Ende in der Anstalt im niederösterreichischen Kierling so kurz gehalten wird, auch dass das Ende des Films die Flucht Max Brods aus dem Nazi-Reich zeigt und Brod sozusagen das Schlusswort hat (eigenartig, auch wenn es ohne Brod keinen berühmten Kafka gäbe).
„Franz K.“ (Warum eigentlich die Abkürzung? Um auf Josef K. aus „Der Prozess“ zu verweisen?) ist ein sehenswerter Film, der übliche Seher:innen-Erwartungen unterläuft, ein wenig informiert, ein wenig fabuliert, auch unterhält und – wahrscheinlich am Wichtigsten – durchaus Lust darauf macht (wieder) Kafka zu lesen. Tun wir das.
Ah ja: die Nachos waren gut, lagen dann aber doch etwas im Magen.
Die Deckengemälde des 1888 neu eröffneten Burgtheaters an der Ringstraße waren das letzte Mal vor rund 50 Jahren ausführlich zu besichtigen und dass es jetzt wieder der Fall ist, liegt an einem Wasserschaden der Decke, der eine Renovierung notwendig machte, woraufhin beschlossen wurde, das Gerüst für die Renovierungsarbeiten auch für Führungen zu nutzen.
Die Gemälde sind von kunsthistorischer Bedeutung, stellen sie doch frühe Werke von Gustav Klimt, dessen Bruder Ernst Klimt und Franz Matsch (bekannt durch die Anker-Uhr am Hohen Markt) dar. Und zeigen unter anderem das einzige Selbstporträt Gustav Klimts, der sich als Betrachter einer Shakespeareaufführung im Londoner Globe selbst verewigt hat (am Rande – und auch seinen Bruder Ernst und Matsch).
Zehn der Deckengemälde, die allesamt innerhalb nur eines Jahres entstanden, wurden thematisch von der Direktion vorgegeben, zwei durften Matsch, Klimt und Klimt frei gestalten.
Die Führung begann im Nebenraum des Pausenfoyers, führte zu den Deckengemälden der Kaiserstiege (wo Kaiser Franz Joseph I. die extra hinzugefügte Katharina Schratt an der Decke bewundern konnte), ging wieder in den Hauptteil des Gebäudes, wo die großartige Guide zur Geschichte des Burgtheaters (derzeit 250 Jahre Burg, eine Ausstellung des Theatermuseums) referierte, um dann zum Höhepunkt, der nahen Ansicht auf dem Gerüst direkt unter der Decke des Burgtheaters die Gemälde von Matsch, Klimt und Klimt betrachten zu können. Viele Details fallen einem erst jetzt auf: dass die vermeintlichen Mosaikteilchen auf den Nebengemälden in Wirklichkeit gemalt sind; dass die Figuren am Rand der Decke schwarzweiß gehalten sind, um den Eindruck von Plastiken zu erwecken und die Buntheit der Hauptgemälde zu betonen. Wie zahlreich die Gipsverzierungen der Decke sind. Wie eindrucksvoll und präzise die Figurengruppen der Giebelwände sind. Wie kurios die von kleinen Schauspielern erfüllten Schwäne und Eulen aussehen. Und wie hoch man über dem Erdboden herumgeht.
Eineinhalb Stunden voll von gekonnter und gelehrter Erzählung und wunderbar Anzusehendem sind schnell vorbei. Bis Juni 2026 gibt es noch die Gelegenheit, das zu erleben. Dann ist wieder Schluss, vielleicht wieder für 50 Jahre. Weitere Infos
Im Mittelpunkt die Aufführung eines Stücks von Sophokles, dessen Statue auch zu sehen ist. Die Dame in Weiß im Vordergrund, zu Füßen von Sophokles, zeigt Katharina Schratt.Bühnenbildmodell.Darstellung von Petra Morzé.Xenia Hausers Porträt von Direktor Claus Peymann. Erstaunlich starke Unterarme.Darstellung des Hanswurst.Mit Manuela im Theater.
Heute ist Kulturtag, Manuela wollte es so und dann machen wir es! 14:00 „Phantom der Oper“, dann was Essen gehen (wissen noch nicht wo), 19:00 Uhr „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ im Burgtheater. Wuuuuppi!
Ich bin ja kein großer Musicalfan und praktisch alle Musicals, die ich gesehen habe, hab ich mit Manuela gesehen, häufig mit unseren Kindern, Musicals sind eine gute Zwischenstufe von Kindertheater zu Erwachsenentheater. Naja, dachten wir zumindest, richtig funktioniert hat das nicht. Mein erster Andrew Lloyd Webber war „Jesus Christ Superstar“, in der Aufführung durch das Ensemble 83 in Bruck/Leitha (ich glaube meine Kusine hatte eine kleine Rolle darin). Das Ensemble 83 gibt es längst nicht mehr, der Initiator und Regisseur der Truppe ist heute allerdings weithin bekannt und geschätzt: Josef E. Köpplinger. Kurze Zeit später hielt es meine Musiklehrerin für angebracht, dass wir uns mit dem Theater der Jugend alle „Cats“ ansehen, den großen Musicalhit der 1980er-Jahre. Das fand ich ebenso beeindruckend wie verwirrend, ich konnte diese ganzen Katzen nicht auseinanderhalten und worum ging es in dem Stück überhaupt und am Ende kommt eine alte Katze in den Katzenhimmel, was??? Die Platten dazu hab ich oft gehört, meine Eltern hatten nur etwa 10 LPs, aber „Cats“ war eine davon.
Dann war lange nix mit Musical.
Bis Manuela, die Kinder und ich in London waren und uns „Charlie and the Cocolate Factory“ ansahen. Und später, auch in London „Les Miserables“ und „Hamilton“. Und in Wien „Elisabeth“, „Ich war noch niemals in New York“, „Dirty Dancing“, „Sister Act“, „Mamma Mia“ und „Der Besuch der alten Dame“. Ach ja, in London dann auch noch „Phantom of the Opera“. Man holt auf mit der Zeit und das alles hätte ich ohne Manuela nie gesehen, was sehr schade gewesen wäre.
Zugegebenermaßen weiß ich jetzt nicht mehr wahnsinnig viel von der Aufführung im Raimundtheater (vielen Dank an Gertraud und Gerhard für das Organisieren sehr guter günstiger Karten, Reihe 9, Parkett, wow), weil das jetzt auch schon drei Wochen her ist, aber es war schwungvoll, unterhaltsam, mitunter mitreißend, musikalisch gut gemacht mit ein paar wirklich schönen Melodien, dazu parodistisch (die Opernarien!), gut gespielt, getanzt, gesungen und es gab horrible, um nicht zu sagen erschreckende, Momente (die Morde! der Luster!) und ich weiß bis jetzt nicht, was ich von der Handlung halten soll. Irgendwo in einer Oper lebt eine Art verrückter Einsiedler, verunstaltet, genial und schafft es, das ganze Theater samt Direktion unter seine Kontrolle zu bringen? Und bringt die junge, talentierte Schöne dazu, sich in ihn wenigstes halbherzig zu verschauen? Und macht sie zum Star? Und wird erwischt, aber nicht gefasst? Weil er sich in Luft auflöst? Und zwischendurch fahren sie in einer Gondel durch unterirdische Kanäle als ob es Venedig wäre? Die Handlung scheint mir jetzt auch nicht viel durchsichtiger als die von „Cats“. Naja, wenigstens sehen die Figuren nicht alle gleich aus. Aber das tut der guten Unterhaltung keine Abbruch, die Zeit verfliegt im Flug, ein Effekt folgt auf den nächsten, immer ist etwas, das einen belustig, erstaunt, berührt, enttäuscht, erfreut, erwärmt … ein Bad der Gefühle! Und es fühlt sich gut an!
Vor der Vorstellung.Der fatale Luster.Blick in den Orchestergraben.
Loge erster Rang, gleich neben der Bühne, schön, schön, na gut, ich sitz rechts, Manuela links, die sieht die ganze Bühne, ich hoffe halt, dass ganz rechts nicht so viel passiert (tut es dann eh nicht).
Schön, schön, man sieht gleich mal die Bühne, das Bühnenbild macht mich nicht glücklich. Alles schwarz und dunkelgrau und düster, aha, Einheitsbild fürs ganze Stück, naja. Drei große, kreisrunde, schief angelegte Podien unterschiedlicher Größe, warum, wozu, ich weiß es nicht und die Podien spielen auch keine große Rolle für die Inszenierung, nur die große links vorne wird ausgiebig genutzt. Die intensivste Szene spielt sich rechts vorne fast unscheinbar ab und beinhaltet als Requisiten nicht mehr als zwei Kübel, fast schon armes Theater, nicht unironisch für die teuerste Sprechtheaterbühne Österreichs mit den weitaus größten Möglichkeiten.
Die Bühne vor Beginn des Stücks. Im Hintergrund ein Geist.
Es ist immer noch enttäuschend das Haus zu betreten, reinzugehen, auf die Buchhandlung zuzusteuern und festzustellen, dass es die nicht mehr gibt und stattdessen noch so eine Bar eröffnet wurde, naja, hätt ich nicht gebraucht, aber bitte, wahrscheinlich gibt es mehr Durst nach Sekt als Durst nach Büchern auf der Welt.
Aber wurscht, jetzt sitzen wir auf unseren Plätzen, die Sitze hinter uns haben wir gleich mitgekauft, wir sind unter uns.
Der schon etwas abgeschlagene Stuck in unserer Loge.
Ist es das fünfte Mal, dass ich „Hamlet“ seh? Erstes Mal vor rund 35 Jahren im Vienna International Theatre (gibts auch schon ewig nicht mehr) in einem im Keller gelegenen Theater, so arm, dass die Schauspieler nicht mal richtige Stiefel hatten, sondern die Unterschenkel mit Stoff umwickelt waren. Das zweite Mal Klaus Maria Brandauers Inszenierung am Burgtheater. Dann mit Manuela in Schloss Hof, eine Aufführung der Royal Shakespeare Company und wer sich aufregendes Theater erwartet hat, wurde enttäuscht: ein blutleerer Versuch, Shakespeare so aufzuführen, wie er „wirklich“ aufgeführt wurde, leeres Theater, das ebenso 1850 wie 1940 wie 1965 auf diese Weise stattfinden hätte können, so fad, dass ich die Hälfte des Stücks verschlafen habe. Heuer hat Stefano Bernardin seine „Hamlet One Man Show“ im Akzent dargeboten, fantastische Aufführung. Und nach vielen Versuchen habe ich es diesen Sommer geschafft, das Stück fertig zu lesen (in der Übersetzung von Erich Fried).
Die Inszenierung von Karin Henkel fängt interessant an. Wer sich einen klassischen Beginn erwartet mit dem Vorspiel zum Auftauchen von Hamlets Vaters Geist wird enttäuscht und darf sich dafür am Erscheinen von mehr als einem Dutzend Geistern erfreuen. Diese sind ganz wunderbar vorbildhaft für Geister in weiße Leintücher mit ausgeschnittenen Augenlöchern gekleidet und schreiten zeremoniell und im Chor redend vor sich hin, bis sich rausstellt, dass es sich um eine zu probende Szene unter der Führung von Michael Maertens – Hamlets Stiefvater und Brudermörder von Hamlets Vater – handelt. Schön gemacht und natürlich witzig, aber warum wird hier geprobt? Hm. Und schwupps kommt Hamlet bzw. eine ganze Reihe von Hamlets, unterschiedlichen Alters, Geschlechts, unterschiedlicher Größe.
Ok. Wir haben es hier mit einer Krise zu tun, es ist offiziell. Der Burgtheater-„Orlando“ ist aufgeteilt auf verschiedene Darsteller:innen, Hamlet genauso. Schön langsam schleicht sich der Verdacht ein, dass wir es mit eine gesellschaftlichen Thema der Spaltung zu tun haben, aber es ist keine Spaltung der Gesellschaft, wie sie öfter thematisiert wird, es ist eine Spaltung der Ichs, der Verlust der Einheit der Identität, wir sind nur noch die Summe unserer Charakteristika, nicht mehr ein Ganzes, ein Ich, wir sind viele kleine Ichs, die durchaus unterschiedlich reagieren. Das passt schön zu Hamlet, der sich selbst verdächtigt, nicht mehr er selbst zu sein, der seine Umgebung glauben macht, er wäre verrückt, bis die Umgebung tatsächlich glaubt, er wäre verrückt. Hamlet ist mehr als ein Ich, er muss mehr sein, weil in ihm die Widersprüche toben. Als Sohn der Mutter sollte er brav sein; als Sohn des ermordeten Vaters Rächer sein; als Königssohn sollte er der neue König sein; als Prinz sollte er eine zukünftige Prinzessin haben; als Freund sollte er ein gutes Verhältnis zu Rosenkranz und Güldensten haben, deren Mörder er aber wird (weil sie ihn morden sollen). Dieser Hamlet platzt vor lauter Ichs, dass er sich spaltet ist nur logisch und er präsentiert sich auf sehr unterschiedliche Weise: aggressiv-aufbrausend, zögerlich, weiblich … (hier die Besetzung). Zur Spaltung passt auch, dass Hamlets Mutter (Kate Strong) immer wieder Englisch redet und damit sozusagen aus der Rolle fällt. Und dazu immer wieder Michael Maertens, der als neuer König gern souverän wäre, aber immer am Rande der Katastrophe, am Rande der Überlastung tanzt und schlussendlich über die Grenzlinie kippt: Hamlet muss weg, er beschließt ihn ermorden zu lassen.
Der Teich, in dem Ophelia sterben wird.
Eigenartigerweise sind es Gertrud und Claudius, die Ophelia in den Tod treiben, eine freie Bearbeitung des Stücks, das generell eher eine Bearbeitung als eine Aufführung des eigentlichen Textes ist (so ist auch der ganze letzte Akt völlig umgearbeitet: kein Duell, kein Fortinbras, kein Laertes, kein allgemeines Sterben, bis praktisch alle tot sind …). Andererseits ist dadurch die eindrücklichste, intensivste, fast unerträgliche Szene des Abends gelungen: Claudius schüttet Wasser aus Plastikflaschen über Ophelias Kopf, drückt diesen immer wieder in einen Metallkübel, wirft die leeren Flaschen in einen zweiten Kübel, bis Ophelia tot ist. Langsam, grausam, ausweglos. Bei aller Brillanz, die Maertens an sich hat: er spielt immer alles gleich unterhaltsam. Er ist ein Schauspieler, der sich nie bemüht, tatsächlich einmal anders zu sein, eine Nuance zu zeigen, die man vorher nicht an ihm entdecken konnte. Das bedeutet nicht, dass er kein bedeutender Schauspieler wäre, aber er ist kein Schauspieler, der sich verwandelt, er hat sein verlässlichliches Repertoire an Mitteln, die er anwendet, fertig. In den vielen Inszenierungen, die wir mit Maertens gesehen haben, gab es nur zwei Momente, wo Maertens nicht der Maertens war, der er sonst ist. Der erste war in Tschechows „Die Möwe“, als er beiläufig erklärte, er habe die Möwe erschossen. Der zweite ist hier, als Claudius, der so aktiv den Selbstmord Ophelias betreibt, bis es eher wie Mord aussieht. Von erstaunlicher Intensität.
Kate Strong als Hamlets Mutter bleibt distanziert nach allen Richtungen. Scheinbar ohne Gewissensbisse wegen des Mordes an Hamlets Vater, scheint sie auch nicht verliebt zu sein Claudius. Hamlet liegt ihr wohl am Herzen, aber auch nicht allzu sehr. Gertrud wirkt eher wie eine Gefangene ihrer eigenen Prinzipien, kaum berührt von den Ereignissen um sich.
Henkels Inszenierung ist unterhaltsam, wie aus einem Guss, ob die weitgehende Um- oder Bearbeitung des Stücks nötig ist und wie weit Henkel dies zu verantworten hat, ist unklar. Dass es so viele Hamlets braucht, naja. Die Unmenge an Geistern könnte als Symbol gelesen werden, dass diese Gesellschaft, die hier gezeigt wird, nicht mehr fertig wird mit den Geistern und Gespenstern, wahrscheinlich hervorgerufen durch schreckliche reale Ereignisse, die nicht aufgearbeitet wurden. Sind wir das, die hier gezeigt werden? Eine Gesellschaft, die vor dem Horror der Vergangenheit wegläuft, die sich mit Geistern herumschlagen muss, die an Ich-Spaltung leidet?
Pause und Umbau bzw. Reinigung der Bühne. Im Hintergrund die Wolken, die ihre Farbe ändern können.
Das Bühnenbild von Katrin Brack, Nestroy-Preisträgerin 2017, passt zu dieser düsteren Analyse. Sind die scheibenförmige Podien die Räder, unter die wir gekommen sind oder gerade kommen? Henkel bezieht auch zweimal den Zuschauer:innenraum in ihre Inszenierung ein, um die Geister einziehen zu lassen. Das Stück endet blutig, ohne Duell, die Hamlets triefen teilweise vor Blut, am Ende ist Benny Claessens (hysterisch und fast außer sich als Hamlet) fast gänzlich mit Blut überzogen. Die letzten Worte werden einem Kind überlassen.
Nach fast drei Stunden ist das Stück zu Ende. Und bleibt im Gedächtnis.
Schlussapplaus: Benny Claessens, von oben bis unten voll von Blut. Im Hintergrund die unterschiedlichen Hamlets.
Gesehen am 22. Oktober 2025, Vorpremiere (Premiere am folgenden Tag)
Na gut, die Plätze sind wenig berauschend 2. Rang, Loge 1 rechts, Sitze 1 und 2 und es ist relativ eng verglichen mit der Loge im Parterre des Burgtheaters. Erinnert mich an vor langer Zeit, als ich aus Kostengründen auf der Galerie saß, wo man in erster Linie Frisuren über die Bühne schweben sah. Aber sehr schöne Tapete.
Und weil wir schon dabei sind: der Saal vor dem Anpfiff:
Aber egal, das Leben ist ein Ponyhof und uns schwant nichts Gutes, denn als wir das letzte Mal „Der Theatermacher“ gesehen haben war das vor ein paar Jahren im Volkstheater, wo der neue Intendant das Stück durch den Fleischwolf gedreht hat, was dazu führte, dass wir den Rest der Intendanz gar nicht mehr ins Volkstheater gegangen sind. Wir haben uns beide nicht vermisst. Aber in der Josefstadt haben wir natürlich gewisse Erwartungen hinsichtlich einer Aufführung, die man wohl als „klassisch“ bezeichnen mag und die Besetzung mit Herbert Föttinger als Brustton spricht auch nicht davor, dass das Schocklevel besonders hoch liegen sollte. (Ist es nicht faszinierend, dass auch Peymanns Inszenierungen der Bernhards, die als überaus modern galten, heute ebenfalls klassisch wirken?)
Schön zu sehen: Die Drittelung der Bühne. Links der „normale“ Teil, rechts der schwarze Streifen für das Totenreich, bis nach hinten gehend.
Und es fängt auch klassisch an: der runtergekommene Saal eines Dorfgasthauses im fiktiven Utzbach, ein einfaches Podium als Bühne an der Rückseite des Saales, Staub und Dreck überall, halb vergilbte Hitlerbilder an der Wand, der Wirt eine Mischung aus Stumpfsinn, Einsilbigkeit, Sperrigkeit. Der Staatsschauspieler Bruscon, auf Tour mit dem über Jahrzehnte selbst verfassten „Rad der Geschichte“, mit seiner Familie als Ensemble, ist auf den Hund gekommen und erkennt es selbst. Eine schöne Rolle für den nicht uneitlen Föttinger, der einen eitlen, größenwahnsinnigen, gewalttätigen Theaterstar darstellt und das auf durchaus uneitle Art tut, die sich nicht zu schade ist, Verletzlichkeit, Schwäche, Verlorenheit, traurige Selbsterkenntnis zu zeigen: unrasiert, in einem zu großen Anzug, das Hemd weit aufgeknöpft, immer ein Haarnetz auf dem Haupt. Der Gehstock ist schon eher Notwendigkeit als Zierde.
Bruscon, Betonung auf der zweiten Silbe, dessen Name sich vielleicht vom italienischen „brusc“ (abrupt) herleitet (lustigerweise kommt in Bernhards „ElisabethII.“ (1987) eine Figur vor, die ihre Sätze immer mit „abrupt“ beendet – „Der Theatermacher“ erschien 1984) ist der totale Tyrann. Autor des Stücks, Regisseur des Stücks, Hauptdarsteller, übergriffiges Oberhaupt seiner Familie, die er in die Theaterexistenz gezwungen hat. Wovon das „Rad der Geschichte“ handelt bleibt bis zu letzt unklar. Sicher ist nur, dass die bedeutendsten Menschen der Geschichte an unrealistischen Orten aufeinandertreffen: Metternich, Napoleon, Madame Curie. Die wenigen Zitate aus dem Stück („Der Theatermacher“ ist natürlich ein Stück im Stück, ein Stück über das Theater, über Schauspieler, Bühne auf der Bühne) ergeben insgesamt keinen Einblick, alles bleibt im Dunkeln.
Föttinger macht in seiner Darstellung deutlich, dass Bruscon zwar der allmächtige Herrscher in diesem kleinen Universum ist, aber das er auch abhängig ist von einem Umfeld, das er als geist- und talentlos verurteilt. Allein könnte er nicht auf Tournee gehen, alleine nicht spielen, nicht zur Ruhe kommen durch die Massage, die Sohn und Tochter an ihm ausführen. Wie auch immer die Kinder und seine Frau sich benehmen, was auch immer sie machen, letztlich erhalten sie nur Hass, Beschimpfungen, Demütigungen und körperliche Gewalt für ihre Leistungen und letztlich die Loyalität, die sie ihrem Vater/Mann gegenüber beweisen. Die Kinder, Ferruccio (nach Busoni benannt) und Sarah, versäumen es sich gegen den Vater zu verbünden; sie fallen sich gegenseitig in den Rücken, wie Ferruccios Lachen deutlich macht, wenn Sarah in Brusttons Augen etwas falsch macht. Bruscons Frau Agathe, die bezeichnenderweise keinen Namen hat, ist aufgrund ihrer körperlichen Schwäche (geplagt von ihrer Lungenkrankheit) gar nicht in der Lage, in irgendeiner Form Widerstand zu leisten.
All diese Charaktere werden großartig dargestellt von Larissa Fuchs (Sarah), Oliver Rosskopf (Ferruccio), Silvia Meisterle (Agathe), auch Martin Zauner (Wirt).
Der einzige Widerstand, auf den Bruscon in Föttingers Darstellung trifft, ist er selbst. Immer wieder bricht Bruscon zusammen, sehr glaubhaft, sehr realistisch dargestellt von Föttinger. Das Zwiespältige an dieser Darstellung hängt mit Matthias Hartmanns Inszenierungsplan zusammen: Vor der Pause (die erst nach 2/3 der Dauer stattfindet) ist die realistische Bühne (Bühnenbild von Volker Hintermeier) auf zwei Drittel des Bühnenraums begrenzt. Im rechten Drittel, schön parallel nach hinten laufend, ist alles schwarz angemalt. Fallweise taucht Silvia Meisterle in einem bizarren Kostüm als Tänzerin ebenso bizarrer Einlagen auf und stellt dar. Was, bleibt unklar. Ihr Auftauchen ist scheinbar nur Bruscon ersichtlich, alle anderen Figuren können sie nicht wahrnehmen, Bruscon gibt ihr zwischendurch sogar kurz die Hand. Dieser schwarze Raum ist tabu für Bruscon, betritt er ihn, breitet sich ein unangenehmes Geräusch im Saal aus, er verliert die Kontrolle über seinen Körper und kann diese nur mühsam wiedergewinnen. Mit der Zeit wird deutlich, dass Bruscon im Verlauf des Abends nicht nur der Aufführung seines Stücks, sondern seinem Tod entgegengeht. Es ist eine schöne Idee Hartmanns, aber deplatziert, denn das Stück, der Text, sieht dies nicht vor (diese Idee hätte sich sehr gut in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, dessen Nicht-Uraufführung bei den Salzburger Festspielen aufgrund der Nichtabschaltung der Notlichter in „Der Theatermacher“ thematisiert wird), nirgends lässt sich festmachen, dass Bruscon sterben wird oder muss, es gibt auch keinerlei Anspielungen oder symbolische Verweise darauf (im Gegensatz zu „Der Ignorant …“, das als Stück tatsächlich die Transformation von Leben zu Tod anhand der Sängerin beschreibt).
Nach der Pause spielt das Stück zwar im selben Theatersaal, allerdings hinter dem Vorhang, von wo aus Bruscon misstrauisch die Lage im Saal beobachtet. Wie viele Menschen sind gekommen? Erfreulich: gut besucht. Die Zeit vor dem Stückbeginn verwendet Bruscon, um besonders seine Frau zu erniedrigen und zu quälen. Dann, unmittelbar vor Beginn, passiert das Unfassbare, Unerwartete: das Gewitter, das schon den ganzen Tag über Utzbach bedrohte, entlädt sich und setzt den Pfarrhof in Brand. Alle verlassen fluchtartig den Saal. Die Aufführung ist gescheitert (eine schöne Parallele zu Bernhards „Die Macht der Gewohnheit“). Bernhards Stück, der Text, endet hier.
Aber nicht Hartmanns Aufführung. Der Vorhang fällt, dahinter liegt nun ein völlig in schwarz ausgekleideter Saal (jetzt versteht man, warum die Bühnenarbeiter so hektisch, zahlreich und laut in der Pause herumgezerrt haben), ein abstraktes Totenreich, in dem die Darsteller:innen vergleichsweise einfache Tänze aufführen, Choreographien, die Brusttons Tod darstellen. Es ist erstaunlich, dass Föttinger, ein Darsteller, der so wie er spielt dies auch vor 50 oder 100 Jahren hätte tun können, sich auf dieses Wagnis einlässt und sich einer Darstellungsform bedient, mit der er nie etwas zu tun hat. Die Choreographie selbst ist dem tänzerischen Niveau der Schauspieler:innen angepasst und neigt zur Wiederholung. Nach etwa 10 Minuten ist auch dieser Teil vorbei, Brusttons Tochter sagt: „Er war ein lieber Vater.“ Schluss.
Diese Schmerzenszone war laut Hartmann nur eine zufällige Entdeckung bei der Probenarbeit, als Föttinger versehentlich in den schwarzen Bereich trat und weiterspielte. Hartmann:
„Er befand sich plötzlich in einem Bewusstseinsumfeld wieder, vor dem er sich die ganze Zeit offenkundig fürchtet und dem er unbedingt entfliehen will. Dass es dieser Figur nicht leicht fällt, den Angstraum zu verlassen, wenn er sich mal darin befindet, war die Erkenntnis dieses Probentages – und das hätte ich am Reißbrett nicht planen können“, so Hartmann im Josefstadt-Programmheft zu „Der Theatermacher“ (S. 7).
Der völlig in Schwarz ausgekleidete Saal für das letzte Bild.
Der Applaus ist verdient, allerdings nicht berauschend, das Publikum wird diese Inszenierung nicht lieben, nicht weil sie zu modern wäre oder gewagt, sondern weil sie auf halbem Weg stecken bleibt, es ist weder Fisch noch Fleiß und zu einem großen Teil wohl auch nicht, was Bernhards Stück beabsichtigt hat oder gar drin steht. Es ist halt Hartmanns Version von „Der Theatermacher“ und Föttinger ist sein williger Gehilfe.
Schön anzusehen ist das Stück natürlich, es ist unterhaltsam, grausam, mitunter komisch und verleitet zum Nachdenken über den Zwang ein Theatermacher zu sein, über Abhängigkeiten und Missbrauch und darüber, dass Direktor Föttinger vergangenes Jahr ebenfalls mit Vorwürfen des Missbrauchs an seinem Theater und auch durch seine Person konfrontiert war. Wer den Bericht dazu lesen möchte: Executive Summary. Worin es auch heißt: „…beschreiben (ehemalige) Mitarbeiter konkrete verbale sexuelle Übergriffe und sexualisierte Handlungen des künstlerischen Direktors Herbert Föttinger im Rahmen von Probenarbeiten.“ Für Hartmann gilt Ähnliches. Das ist dann natürlich schon auch komisch, dass zwei Theatermacher, denen Missbrauch auf verschiedenen Ebenen vorgeworfen wurde, sich an der Figur eines Missbrauchenden abarbeiten. Aber so ist das eben im Theater: eine Ebene ist nie einfach nur eine Ebene.
Im Programmheft zu „Der Theatermacher“ finden sich Gesprächsbeiträge Hartmanns, in einem dieser aufgezeichneten Beiträge sagt Hartmann, er wäre ein „Zwischengenerationsmensch“:
Meine theatrale Vätergeneration hat sich sekündlich machtmissbräuchlich verhalten. Die konnten sich gar nicht nicht machtmissbräuchlich verhalten. (…) Die ganze Generation der großen Theatermacher hat mit jedem Satz Machtmissbrauch betrieben.
Bernhard lebte mitten unter ihnen, hat deren Verhalten studiert. Machtmissbrauch kam in seiner (…) Sprache als Terminus gar nicht vor. Sein Mittel war, dieses Verhalten in einer theatralen Übersteigerung der Lächerlichkeit preiszugeben und mittels seiner Überzeichnung die Realität in grotesker Weise zu zeigen. So gesehen war Bernhard der Deix des Theaters.
(…) Vor diesem Hintergrund (der political correctness, Anm.) wirkt das Stück sicher noch radikaler, manchmal bleibt selbst mir das Lachen auch wirklich im Hals stecken.
Hartmann sagt nicht, er wäre anders als seine theatralen Väter, er sagt, er wäre ein bisschen anders, ein Zwischenwesen, zwischen den absoluten Machtmissbrauchern und den Vertretern heutiger pc. Ein bissl Missbrauchender? Pfff. Es ist zweifelhaft, ob der dargestellte Machtmissbrauch bei Bernhard heute radikaler erscheint als vor 40 Jahren bei der Uraufführung. Einen „Familientyrann“ nennt Benjamin Henrichs Bruscon in seiner Kritik zum Stück 1985 (siehe Programmheft, S. 11). Und warum sollte Bernhard in diesem Fall ein Überzeichner sein? Das würde bedeuten, dass die theatrale Vätergeneration Hartmanns ja gar nicht so schlimm gewesen wäre, wenn das, was wir sehen, die Übertreibung ist. Ist es nicht doch eher so, dass Bernhard schlicht ein realistisches Bild zeichnet (in diesem Fall), dass der Vergleich mit Deix unpassend ist, dass Hartmann nicht einfach sagen, das war furchtbar und ich mache das nicht, weil ich es ablehne? Naja, so greifen Realität und Kunst passgenau wie Zahnräder ineinander, das „Rad der Geschichte“ dreht sich weiter und zerquetscht jeden, der sich ihm entgegenstellt.
Hartmann und sein Team betrachteten die Aufführung von einer Loge links im ersten Rang.Hartmann im Gespräch in einer anderen Loge.Schlussapplaus: Wirtin und Putzfrau.Bruscons Frau und Tänzerin ins Totenreich: Silvia Meisterleistung. Zweiter von links: Wirt Martin Zauner.
Ich bin Brecht-Fan, naja, wenig überraschend, Brecht war ein Genie. Wenn das Burgtheater Bernhard spielt gehen wir hin. Und wenn es Brecht spielt, dann auch. Ich glaube ich hatte zwei heftige Brechtphasen, mit zirka 25 und vor einem Jahr mit zweiundfünfzig, wo ich jedes Mal 8 oder 10 Stücke von Brecht gelesen hab. „Herr Puntila …“ hab ich wohl vor 35 Jahren das erste Mal gelesen und jetzt zum ersten Mal tatsächlich auf einer Bühne gesehen. Die Verfilmung von Alberto Cavalcanti von 1960 hab ich glaub ich öfter gesehen, brillant, wie Curt Bois und Heinz Engelmann sich gegenseitig durch den Film manövrieren. Keiner konnte den Film, der 1955 in Wien entstanden, aber erst 1960 veröffentlicht worden ist, leiden.
Aus reiner Großmannsucht haben wir uns zwei Plätze erste Reihe Loge rechts Parterre gekauft und wirklich, wunderbare Plätze. Ein Platz hinter uns war verkauft, wer auch immer ihn gekauft hat, er ist nicht aufgetaucht, vielen Dank. In der Loge rumlümmeln hat schon ein anderes Flair als beengt zwischen den Sitzen.
Gegen Ende des Stücks verwandelt sich das Bibliotheksbühnenbild in diese bunte Landschaft.
Brecht schrieb „Puntila“ im Exil zu Beginn der 1940er-Jahre, wie alle Stücke von Brecht ging es aus einer Zusammenarbeit hervor und zwar mit der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki, deren Stück „Die Sägemehlprinzessin“ Vorlage für „Puntila“ war. Puntila ist bei Brecht ein wohlhabender Gutsbesitzer, Eigentümer eines Sägewerks, eines Waldes, von 90 Kühen und einer Tochter, die er gesellschaftlich vorteilhaft mit einem Attaché verheiraten möchte. Sein größtes Problem ist es, ob er sich von seinem Wald als Mitgift für Tochter Eva trennen soll oder seine Freiheit für seine eigene Hochzeit mit einer wohlhabenden Dame aus dem Dorf aufgeben soll.
Puntilas eigentliches Problem ist der Alkohol. Über weite Strecken der Zeit betrunken ist er in diesen Phasen ein mitfühlender, gefühlvoller, intelligenter und sich mit allen Menschen verbrüdernder Mensch, für den es keine soziale Kluft zu seinen Untergebenen gibt. Nüchtern ist er allerdings ein kalter, rücksichtsloser Kapitalist, dem ein Mensch nicht mehr bedeutet als ein paar seiner Bäume. Es ist durchaus passend, dass der deutsche Regisseur Antú Romero Nunes seine Inszenierung damit beginnen lässt, dass von Menschen dargestellte Kühe über die Bühne traben, liebevoll getätschelt von Puntila.
Ihm zur Seite steht sein Fahrer Matti, der es wagt Puntila die Meinung zu sagen, was dem betrunkenen Puntila durchaus recht ist, dem nüchternen Puntila ist Matti aber ein Dorn im Auge, er überhäuft ihn mit Beleidigungen, Verdächtigungen und Unterstellungen. Beim nüchternen Puntila ruft eine Liaison zwischen Matti und Puntilas Tochter Eva Entsetzen hervor, der betrunkene Puntila tut alles, damit Eva sich überhaupt eignet, von Matti als Braut akzeptiert zu werden. Puntilas Vorhaben, Eva an Matti zu verheiraten scheitert aber am Ende an Eva: die soziale Kluft, von Eva zunächst ebenfalls negiert, weil sie Matti interessant, abenteuerlich, männlich und schlagfertig findet, tut sich in dem Moment auf, als Matti seiner Zuneigung auf der Bühne des Burgtheaters durch einen intensiven Kuss belegt (im Stück ist es ein Klaps auf Evas Hintern), worauf Eva förmlich erfriert und schmallippig abgeht.